Dienstag, 24. Mai 2011

Obdachlose Menschen São Paulo



Die Zahl der Menschen, die auf den Strassen von São Paulo leben, nimmt erschreckend zu.
Die Organisation „Rede Rua“ (Netzwerk-Strasse), in Zusammenarbeit mit Soverdi Social, nimmt sich dieser Menschen an.
Wichtig bei dieser Arbeit ist es in erster Linie die Gründe zu kennen und zu analysieren, die dazu führen, dass immer mehr Menschen auf den Strassen leben. Davon ausgehend, und zusammen mit den obdachlosen Menschen, werden dann mögliche Wege (Auswege) gesucht, die helfen sollen, eine erneute Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen.

Die Lebensbedingungen auf den Strassen sind hart und oft grausam. Und nicht wenige von den  Obdachlosen verfallen in dieser Situation dem Alkohol oder  den Drogen. Wenigen gelingt es aus diesem „Teufelskreis“ auszusteigen. Diejenigen aber, die ihr Leben tatsächlich verändern wollen, finden besonders in einer festen  Arbeit eine wesentliche Hilfe bei diesem schwierigen Unternehmen. Der Traum eines eigenen Hauses, einer Familie, von Kindern, einer Freundschaft oder Liebe, alle diese Motive sind wichtig, wenn diese Menschen ihrem Leben einen neuen Sinn geben möchten.  
Hier die Geschichten zweier ehemaliger Obdachloser:

Luiz Carlos dos Santos und Ribamar Ferreira de Brito

 

Luiz Carlos dos Santos

Ich heisse Luiz Carlos dos Santos, bin 50 Jahre alt und komme aus dem Bundesland Bahia (Nordosten Brasiliens). Ich bin Einzelkind und wurde mit 7 Jahren von meiner Mutter verlassen. Unsere Nachbarin, die im letzten Jahr verstorben ist, hat mich aufgezogen.  Heute arbeite ich in der Kantine „Penaforte Mendes“, die 500 obdachlosen Menschen Mahlzeiten anbietet. Diese Dienstleistung wird von der Rede Rua in Zusammenarbeit  mit der Stadtgemeinde unterhalten.
Aber mein Leben war nie besonders einfach. Ich hatte ein kleines Geschäft am Stadtrand. Ich  habe auch in einer Reinigungsfirma gearbeitet. Ich hatte also, wie man so sagt, ein normales, geregeltes Leben. Aber nach der Trennung von meiner Frau war ich verzweifelt und mein Leben begann sich allmählich zu verschlechtern. Ich verlor meine Arbeit, schlitterte in Schulden und landete schliesslich auf der Strasse, oder besser auf dem Friedhof.  Ein Jahr lang lebte ich auf der Strasse und schlief auf einem Friedhof. Dann lernte ich Leute von der Rede Rua kennen und wohnte ein Jahr lang in einer Herberge, die von der Rede Rua betreut wird. Das war mein Glück. Danach lebte ich mehr als ein Jahr mit einer Gruppe von Menschen der Organisation „Landlose Bevölkerung“ zusammen, die am Stadtrand von São Paulo ein Stück Land besetzt hatte. Aber ich konnte mich nicht an dieses Leben gewöhnen, bekam zudem Sehprobleme und ging so zur Herberge zurück. Von da wurde ich dann in die Gemeinschaft „Santo Dias da Silva“ überwiesen und eingeladen in der Kantine mitzuarbeiten. Heute sind es schon mehr als 5 Jahre, dass ich hier meine früheren Kollegen von der Strasse empfange, diejenigen, die noch heute so leben, wie ich selbst früher. Das Wichtigste für mich war, dass es mir gelungen ist von der Strasse wegzukommen und in der Organisation Rede Rua aufgenommen zu werden. Am ersten Tag, als ich hier empfangen wurde und nach langer Zeit wieder einmal duschen konnte, rollten mir die Tränen über die Wangen. Von da an war mir klar: „Heute bin kein Obdachloser mehr, der früher sogar auf Friedhöfen schlief und und sich von dem ernährte, was er auf den Strassen fand, heute bin ich wieder Mensch und habe einen Namen, Luiz Carlos dos Santos“. Heute ist mein Weg für mich klar. Ich möchte wieder ein Zuhause haben und ein würdiges Leben führen. Und ich werde es schaffen. 

Ribamar Ferreira de Brito

Ich heisse Ribamar Ferreira de Brito, bin 41 Jahre alt und lebte früher auf der Strasse. Mit viel Mühe ist es mir gelungen mein Leben zu ändern, zu verbessern. Luiz Carlos, der euch schon seine Geschichte erzählt hat, ist mein Kollege und wir arbeiten heute im gleichen Projekt zusammen. Aber unsere Lebenswege waren früher sehr verschieden. Gemein hatten wir nur die Strasse und die Kraft aus diesem Leben auszusteigen. Ich lebte auf der Strasse und gehörte wohl zu den übelsten Typen von Obdachlosen. In der Ostzone von São Paulo lebten meine Familie und meine Verwandten, aber mir waren alle egal, ich wollte einfach nur meinen Schnaps. Ich war total heruntergekommen und wollte von nichts und niemandem wissen. Ich wollte mich einfach nur betrinken. Jetzt möchtet ihr vielleicht wissen, was einen Menschen, was mich dazu gebracht hat auf der Strasse zu leben. Begonnen hat alles mit der Scheidung von meiner zweiten Frau. Ich war verzweifelt, hoffnungslos und begann zu trinken. Meine erste Frau wurde von einem Auto überfahren. Und mit meiner  zweiten Frau hatte ich immer Probleme , weil ich oft betrunken nach Hause kam. Ich war unausstehlich. Heute sehe ich meine Fehler ganz klar.  Wenn du einmal auf der Strasse landest, dann ist es unwahrscheinlich schwierig wieder auszusteigen. Alkohol, Drogen, Hoffnungslosigkeit und besonders die Vorurteil der Gesellschaft machen es einem schier unmöglich diese Leben hinter sich zu lassen und neu anzufangen. Viele sagen, es ist ganz einfach aus diesem Leben auszusteigen, man muss es nur wollen. Aber das stimmt nicht. Als ich wieder anfing zu arbeiten und meine Arbeitgeber erfuhren, dass ich in einer Herberge wohnte, wurde ich sofort entlassen. Die Vorurteile gegenüber den obdachlosen Menschen sind wirklich sehr gross. Wenn die Leute erfahren, dass du keine feste Adresse hast, dass du auf der Strasse gelebt hast, dann verändert sich ihr Verhalten. Sie sehen dich ganz komisch an und weichen dir aus. Mein Leben veränderte sich, als ich als freiwilliger Mitarbeiter bei der Rede Rua zu arbeiten anfing. Später lernte ich Pater Arlindo kennen, und er war es, der mir einen festen Arbeitsplatz anbot.
Bevor ich auf der Strasse lebte hatte ich ein Auto, ein Haus. All das habe ich verloren. Letztes Jahr wäre ich beinahe ums Leben gekommen. Ich mischte mich in einen Streit zweier Obdachloser und erhielt mehrere Messerstiche. Aber ich konnte den beiden vergeben, ich weiss ja, wie hart das Leben auf der Strasse ist. Und gesundheitlich geht es mir im Moment auch nicht besonders gut. Ich bin Zuckerkrank und hatte auch schon Tuberkulose. Aber davon abgesehen arbeite ich sehr viel. Früher war das Arbeiten nicht so meine Sache. Und auf der Strasse verliert man überhaupt den Mut, man wird ein Vagabund, ein Taugenichts. Ich bin auf der Strasse ein wirklich schlechter Mensch geworden. Nichts hat mir gepasst, alles und alle habe ich kritisiert und dann eben viel getrunken. Aber heute habe ich ein ganz klares Ziel vor Augen, heute weiss ich, was ich will. Und die Leute von der Rede Rua haben mir dabei unvorstellbare Hilfe geleistet.   

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