Bruder Ivo dos Santos Fiuza
(Leiter der Quilombo-Mission)
An aller erster Stelle möchte ich Gott und der Ordensgesellschaft (Gesellschaft des Göttlichen Wortes - SVD) dafür danken, dass ich meine missionarische Arbeit in den Quilombola-Gemeinschaften ausführen darf. Jedes Mal, wenn ich in diese Gemeinschaften gehe, komme ich von dort beeindruckt und gestärkt von der Mystik und Spiritualität der hier lebenden Menschen, zurück. Im Folgenden möchte ich ein wenig von meiner Mission, der Geschichte dieser Gemeinschaften, ihrer heutigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Situation erzählen.
Missionarische Arbeit
– Bildung von Führungskräften: Wir bemühen uns um die Bildung von Führungskräften in den Ortsgemeinschaften. Bildung und Information sollen dazu beitragen, dass die hier wohnenden Menschen selbständige und aktive Bürger ihrer Geschichte werden.
– EACONE: Mit der Gründung der NOG „Eacone“ koordinieren und beraten wir die Gemeinschaften bei ihren Bemühungen um die rechtmässige Anerkennung ihrer Grundstücke. Zwar stehen ihnen diese laut Grundgesetz zu, allerdings besitzen bis heute nur wenige der Gemeinschaften den Rechtstitel auf ihr Land.
– Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft: Die Einführung einer nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft soll den Familien ihren Unterhalt garantieren und zugleich den Atlantischen Urwald schützen.
– Schaffung von Gemeinschaftsräumen: In regelmässigen Versammlungen sollen hier die gemeinsamen Bedürfnisse und Probleme der Gemeinschaften erörtert werden.
Geschichte
Kultur und Nachhaltigkeit
- Ökologischer Reichtum,
- Bevölkerung (Caiçaras, Indígenas, Quilombolas)
Das Vale do Ribeira (Ribeira-Tal) befindet sich im Süden des Bundeslandes São Paulo und im Norden des Bundeslandes Paraná und umfasst ein Gebiet von 2.830.666 Hektar mit einer Bevölkerung von 481.224 Menschen. Hier befinden sich insgesamt 31 Stadtgemeinden. Diese Region zeichnet sich durch die Erhaltung des Waldbestandes und ihre ökologische Vielfalt aus. Mehr als 2,1 Millionen Hektar Wald entsprechen ca. 21% der noch vorhandenen Reste des Atlantischen Regenwaldes in Brasilien, und stellen damit die größte zusammenhängende Fläche dieses wichtigen Ökosystems dar. Im Gegensatz zu diesem wertvollen ökologischen Erbe zählt das Vale do Ribeira historisch zu den ärmsten Regionen der Bundesstaaten São Paulo und Paraná. Ihre Städte haben in allen Bereichen ein niedrigeres Niveau menschlicher Entwicklung: Bildung, Beschäftigung, Einkommen etc. Die Suche nach Arbeitsplätzen und das Defizit an Bildungsmöglichkeiten führen dazu, dass ein Grossteil der erwerbstätigen jungen Bevölkerung in andere Regionen migriert. Diese Situation wird zudem durch die Nähe zu den zwei großen Industriestädten, São Paulo und Curitiba, verschlechtert. Denn obwohl in jüngster Zeit viel in die Infrastruktur investiert wurde, wie etwa in die Verdoppelung der Regis Bittencourt Autobahn (BR-116), existieren auch Pläne zum Bau von Staudämmen, um das Wasser dieser Region in diese Industriestädte abzuleiten. Nach offiziellen Angaben (Sebrae) ist das Vale do Ribeira derzeit durch eine hohe Konzentration von kleinen Betrieben, mit bis zu 50 Hektar, geprägt. Die wichtigsten Ernten stellen derzeit die Bananenproduktion dar, gefolgt von der Produktion von Rindfleisch, Tomaten und Mandarinen. Die regionale Wirtschaft produziert ausserdem noch Mate-Tee, Reis, Mais und Blumen. Bedeutend ist auch der Anteil der Fischerei an der Küste.
1999 wurde diese Regenwald-Reserve, zu der 17 Gemeinden im Vale do Ribeira gehören, von der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Kein Wunder, denn in den 24 Schutzgebieten, die ganz oder teilweise in das Tal eingebettet sind, finden sich seltene Baumarten (Zedern, Palmen, Zimt und Araucaria), und eine Vielfalt an Bromelien und Orchideen. Vorläufige Untersuchungen, die in einigen der Naturschutzgebiete durchgeführt wurden, ergaben, dass hier Dutzende von Tierarten bedroht sind. Unter ihnen der Jaguar, Ozelot, Pampas Rehe, Alligator, und 42 einheimische Arten, wie der gestreifte Kolibri, der graue Delphin und das Löwenäffchen mit dem schwarzen Gesicht.
Eine Besonderheit der Region ist, dass diese Naturschutzgebiete von Indianern und auch von Quilombolas bewohnt werden. Der Umweltschutz stellt somit die natürliche Berufung des Vale do Ribeira dar.
Nicht nur die reiche Artenvielfalt macht diese Region so einzigartig, sondern auch sein kulturelles Erbe ist gleich wertvoll. In diesem Gebiet befindet sich die grösste Anzahl von Quilombo- Gemeinden im ganzen Bundesstaat São Paulo, Caiçara Gemeinden, die Guarani-Indianer, Fischer und Kleinbauern. Es handelt sich um eine kulturelle Vielfalt, die nur selten an Orten gefunden wird, die so nahe an stark urbanisierten Regionen wie São Paulo und Curitiba liegen.
Caiçaras
(Caiçara ist ein Wort der Tupi Sprache, das sich auf die Bewohnern der Küstengebiete bezieht. Zunächst wurden damit nur die Fischer an der Küste bezeichnet, später aber wurde der Begriff auf alle Küstenbewohner ausgeweitet, besonders auf die Bevölkerung an der Südküste Brasiliens.) Über 80 Caiçara-Gemeinden (2.456 Familien) leben entlang der 140 Kilometer langen Strecke des Flussmündungssystems von Iguape über Cananéia bis Paranaguá. Ihre Lebensweise ist hauptsächlich durch die Interaktion mit der Natur, ihren Zyklen und den nachwachsenden Rohstoffen geformt. Der Fischfang ist ihre wichtigste wirtschaftliche Aktivität, die unter geringer Umweltbelastung durchgeführt wird. Wie die Wirtschaft, sind auch die kulturellen und sozialen Aktivitäten von der Organisation rund um die Einheit der Familien geprägt, sowohl im Haushalt wie auch in der Gemeinde.
Indígenas
(Als Indígenas bezeichnet man Ureinwohner, Menschen also, die in einem bestimmten geographischen Gebiet vor der Besiedlung durch andere Menschen, besonders vor der Kolonialisierung, hier lebten). Die indianische Bevölkerung des Gebiets ist in zehn Dörfern organisiert. Ihre Familien setzten sich aus den Untergruppen Ñandeva und Mbyá der Guarani-Indianer zusammen. Nach Angaben der FUNAI (National Indian Foundation) leben hier etwas mehr als 400 Indianer. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie sich auf der Basis einer traditionellen Landwirtschaft. Jagd und Fischerei sind saisonale Aktivitäten, wobei ihre Beziehung zu Raum und Natur stark von ethischen und religiösen Normen geprägt wird.
Erfahrungen nachhaltiger Nutzung der Ressourcen
Heute gibt es in der Region eine Reihe von Projekten und Aktivitäten nachhaltiger Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, und es zeigen sich auch schon die ersten positiven Ergebnisse. Ein gutes Beispiel dafür ist der Tourismus, welcher der lokalen Bevölkerung Arbeitsplätze verschafft. Eine der größten Attraktionen der Region sind Tropfsteinhöhlen, die zu den schönsten der Welt zählen. Die berühmteste unter den mehr als 200 katalogisierten Höhlen, ist die Höhlen des Teufels (Caverna do Diabo). Öffentliche Investitionen in Parks, Straßen und Wege fördern den Öko- und Abenteuertourismus.
Forstwirtschaft Die Forstwirtschaft produziert und vermarktet Setzlinge von einheimischen Arten des Atlantik-Urwaldes und stellt eine Einnahmequelle in vielen Gemeinden dar. In ländlichen Gemeinden werden diese Setzlinge in Baumschulen produziert und verkauft. Auf diese Weise verhindert man, dass verschiedene Baumarten, die vom Aussterben bedroht sind (wie etwa die Juçara Palme), durch Wiederaufforstung gerettet werden. Die Gemeinde Rio Preto arbeitet zum Beispiel mit Setzlingen von etwa 30 Arten von Harthölzern wie Caixeta, Inga, Umbaúba und Zeder, und hat heute einen Bestand von ca. 50 000 Setzlingen. Der Preis dieser variiert von 50 Cent bis 1 Dollar, abhängig von der Art. Das eingenommene Geld wird unter den Mitgliedern aufgeteilt, wobei ein bestimmter Betrag für die Instandhaltung der Vereinigung vorbehalten wird.
Juçara - Palme
Marikultur - Fischfang
Die Züchtung von Austern, Muscheln und Fischen in Teichen, hat positive Ergebnisse für die Gemeinden der einheimischen Bevölkerung des Vale do Ribeira gebracht. Durch eine intensivere Produktion erhöht sich das Einkommen der Fischer ganz erheblich, besonders in den Monaten in denen der Tourismus zunimmt.
Bis Mitte der 90er Jahre wurde wenig Rücksicht auf die Schonzeit und Mindestgrösse der Fische genommen. Ausserdem verkauften die Fischer ihre Produktion an Zwischenhändler und verdiente somit sehr wenig. 1994 gründeten die Fischer ihre eigene Genossenschaft, begannen mit der Zuchtfischerei und verkaufen heute ihre Produktion direkt an die Komsumenten.
Alle diese Initiativen, von denen viele die Unterstützung von Forschungsinstituten und Organisationen der Zivilgesellschaft besitzen, haben gezeigt, dass das Vale do Ribeira heute ein neues Entwicklungsmodell besitzt. In diesem Modell wird die Schaffung von Einkommen für die armen Familien und der Schutz der Natur vereint. Die Förderung der lokalen Entwicklung und zunehmende Wachstumschancen verbesseren die Lebensqualität der hier lebenden Menschen.
„In diesem historischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeld lebe ich meine missionarische Berufung. Gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort, im festen Glauben an einen befreienden Gott, stellen wir uns den konkreten Herausforderungen unserer Zeit.“ Br. Ivo
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